Anfang Oktober 2019 initiierte das Kollektiv x-embassy eine künstlerische Forschung über Arbeiten von Künstlerinnen im urbanen Raum in Pankow, wo sich das Diplomatenviertel sowie (bis 1961) der Amtssitz der DDR befand. Die Recherche weist auf die Komplexität und Vielschichtigkeit der Erzählung städtischer Geschichten hin, sowie auf die Gewalt des Verschweigens von Erfahrungen, die von vornherein oft marginalisiert wurden und werden.
Im Rahmen dieser Fragestellungen entstehen zwei Filmabende zum Thema intergenerationelle Geschichten von und über den Mauerfall hinaus:
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ZICKZACK I
18:30-21:00
Sonntag, den 8. Dezember, 2019
Im Studio, ACUD MACHT NEU, Veteranenstr. 21, 10119
Eintrittsspende: 2-4 €
In der offiziellen ‚Erfolgsgeschichte‘ der Wiedervereinigung, sowie den aktuellen Debatten um die weiterhin bestehenden Spannungen zwischen Ost- und Westdeutschland werden die Wahrnehmungen von Zugewanderten und ihren nachfolgenden Generationen tendenziell marginalisiert; ihre Berichte und Erfahrungen von den Ereignissen während und nach 1989 wurden (damals auf beiden Seiten der Mauer) und werden noch immer weitgehend ausgeklammert. Ebenfalls oft ausgespart wird die rassistische Gewalt gegen Black People und People of Color auch im Berliner Raum in den frühen 1990 Jahren, wirft sie doch einen Schatten auf die Feierlichkeiten.
Die Filme dieses Abends, ‚Bruderland ist abgebrannt‘ (Angelika Nguyen, 1991, deutsch mit englischen Untertiteln, 28 Minuten) und ‚ROAN‘ (Thuy Trang Nguyen, 2019, Vietnamesisch m. englischen Untertiteln) überbrücken zwei Generationen und erzählen zwei verschiedene Perspektiven aus der vietnamesischen Diaspora in Deutschland. Sie haben ihren Ursprung in der vietnamesischen und der deutschen Geschichte des bewegten 20. Jahrhunderts.
‚Bruderland ist abgebrannt‘ wurde in der besonderen instabilen Situation des Jahres 1991 und während jener gewissen Pogromstimmung auch in Berlins Straßen gedreht. Er ist eine Momentaufnahme der damaligen Lage von in der DDR verschieden sozialisierten Vietnames*innen in Ostberlin und eines der seltenen Zeitdokumente, welche Alltagsrassismus und strukturelle Ausgrenzung aufmerksam beobachten. Ein Film über rechtliche und soziale Unsicherheit, über Ankommen oder auch über Abschied auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld.
Thuy Trang Nguyens Kurzfilm ‚ROAN‘ (2019/12min) widmet sich der Beziehung zwischen einer vietnamesischen Großmutter, die 1985 mit ihrer Familie als Geflüchtete aus Südvietnam in West Berlin aufgenommen wurde, und ihrer Enkeltochter, die in Deutschland geboren und aufgewachsen ist. Mit zärtlichen Bildern des Alltags überbrückt Thuy Trang Nguyen große Brüche: zwischen zwei Orten und zwei Sprachen, zwischen dem Wechsel politischer Systeme und dem Einfluss des Wandels auf das Sagbare und Nichtsagbare zwischen Generationen.
Nach den Screenings folgt eine Diskussion mit der Filmemacherin Thuy Trang Nguyen und der interkulturelle Beraterin Mai-Phuong Kollath.
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ZICKZACK II
18:30-21:00
Sonntag, den 15. Dezember, 2019
Im Studio, ACUD MACHT NEU, Veteranenstr. 21, 10119
Eintrittsspende: 2-4 €
Ausgangspunkt des künstlerischen Forschungsprojekts vom Kollektiv x-embassy war die gemeinsame Anmietung eines größeren Raumes in der ehemaligen australischen Botschaft auf der Grabbeallee in Pankow, die mit Keramikschutzwänden der renommierten Keramikerin Hedwig Bollhagen (1907-2001) umhüllt ist.
Im Jahr 1997 befragte die 23-jährige Dokumentarfilmemacherin Henriette de Maiziére ihre Bekannte und Familienfreundin Hedwig Bollhagen nach den Erfahrungen, die sie als Künstlerin im nationalsozialistischen Deutschland, in der DDR und auch nach der Wiedervereinigung machte. So spricht Bollhagen in dem Dokumentarfilm ‚Hedwig Bollhagen – Wie herrlich Zitronen schmecken‘ über den Vorwurf, sich mit der Übernahme der Werkstätten der jüdischen Keramikerin Margerete Heymann in Velten im Jahre 1934 zur Komplizin der Enteignungen von Jüd*innen in den 30er Jahren gemacht zu haben. Auch Bollhagens Entscheidung zur ‚Reprivatisierung‘ in den frühen 90ern, als sie schon 84 Jahre alt war, wird diskutiert. Dadurch berührt der Film Spannungen in der Eigentumsgeschichte des ehemaligen Ostdeutschlands, die bis in die Zeit des Nationalsozialismus reichen und bis heute selten angesprochen werden.
Parallel zur Recherche im urbanen Raum Pankows suchten die Künstlerinnen vom Kollektiv x-embassy einige Zeit nach einer Kopie des Films, welche letztendlich im Keller von Frederik Walker, der den Film gemeinsam mit Henriette de Maiziéres drehte, gefunden wurde. Zum ersten Mal seit mehr als zehn Jahren wird der Film wieder öffentlich gezeigt.
Im Anschluss folgt eine Diskussion; Referent*innen TBA
‚Hedwig Bollhagen – Wie herrlich Zitronen schmecken‘ (38 min, auf deutscher Sprache)
Henriette de Maiziére und Frederik Walker
„Ich kannte Hedwig Bollhagen eigentlich nur sonntags. Beim Pilzesuchen, bei Familienfesten, in ihrem Wohnzimmer bei Zuckerkuchen. Sie war für mich als Kind mit ihren schlohweißen Haaren und den ulkigen großen Augen eine sonderbare Frau aus einer anderen Welt.“ So beginnt der sehr persönliche Film von Henriette de Maizière und Frederik Walker über die Keramikerin Hedwig Bollhagen. Ein Gespräch zwischen zwei Frauen und zwischen zwei Generationen: die eine damals 23, die andere fast 90. Erzählt wird die Geschichte Hedwig Bollhagens mit dem ihr eigenen Witz, gleichzeitig die Geschichte des 20. Jahrhunderts, mit einem selbstkritischen und differenzierten Blick auf Fragen der ‚Enteignungen‘ der 30er, 50er und 90er.
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Mit der freundlichen Unterstützung von Helle Panke e.V. – Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin
Fortsetzung: ZICKZACK III